Höhle und Hölle

St.Gallen
Tagblatt. Kultur. Ursula Badrutt Schoch

St.Gallen. Switzerland

25 June 2005

Arbeiten von Sperini und Chapuisat zum Kunsthalle-Geburtstag

Geburtstage werden gerne ganz aussergewöhnlich gefeiert. Die Kunsthalle St. Gallen wird 20 und macht nichts Besonderes: Ausstellungen wie immer. Das Gewöhnliche ist schon aussergewöhnlich genug.

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Der Fuchsbau

Stimmungsmässig mögen die Besucherinnen und Besucher nach dem Eintauchen in Loredana Sperinis Bilderwelt ideal vorbereitet sein, um die Installation der Brüder Gregory (geb. 1972) und Cyril Chapuisat (geb. 1976) aufzusuchen. Es gibt nichts zu verlieren, also rein ins Loch und weiter durch den dunklen engen Gang ins Irgendwo.

Es gibt viel zu gewinnen. Aus nacktem Verpackungskarton haben die in Genf lebenden Brüder ein Labyrinth gebaut, das während der Dauer der Ausstellung weiterwachsen wird. Den Besuchern bleibt die Aussenansicht der Skulptur verwehrt, was dem Gebilde die Haltung einer Anti-Skulptur verleiht. Tastend mit dem ganzen Körper bewegen wir uns durch die Dunkelheit, reisen zum Mittelpunkt der Erde, verlieren die Orientieren, gelangen in Sackgassen, finden zurück und fangen wieder ganz von vorne an, vorne im Leben, im Mutterbauch. Es geht um eine Art Rohfassung der Empfindungen, die im Höhlenbau ausgelöst werden.

Der erste Schritt allein in die Welt: Angst empfinden, Angst überwinden, Freude und Glücksmomente aufkommen lassen, etwa beim Eintritt in die kapellenähnliche Gruft oder beim Entdecken des Nestes, das Sichtkontakt mit der Aussenwelt schenkt. Beim Treffen auf Gspänli, beim Glücksgefühle-Tauschen, Sich-gegenseitig-Mut-Zusprechen. Die Eingangssituation soll als Filter wirken. Wer in der dunklen Enge klaustrophobisch reagiert, kann rückwärts wieder hinausrobben. Wo die Neugierde siegt, gehts weiter, ins Abenteuer, in Unbekanntes. Wind blast, irgendwo kühlt es. Das Material ist angenehm weich und körperfreundlich. Erinnerungen an Hüttenbauten als Kinder werden wach.

Attraktive Metapher

Der Fuchsbau der Gebrüder Chapuisat könnte die Attraktion dieses St. Galler Sommers werden. Mutprobe und Vergnügungspark, Extremerfahrung und Glücksmomente sind im Besuch inbegriffen. "Hyperespace" ist nicht nur ein Bild für das eigene Bewegen im Leben, für Sehnsucht und Scheitern. Es ist auch eine hübsche Metapher für die Geschichte der Kunsthalle St. Gallen, die seit 20 Jahren mit Mut und Risikofreude Ausstellungen betreibt, manchmal im Dunkeln tappt, Sackgassen kennt, die herausfordert und immer wieder Momente des Glücks beschert.




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